Wie sicher sind unsere Medikamente?

Tabletten können dick machen.

Alle paar Monate gibt es einen neuen Skandal um Medikamente. Der Pharmakologe Prof. Peter Schönhöfer beantwortet folgende Fragen: Was läuft schief? Worauf achten Sie am besten beim Verschreiben? Schönhöfer ist ehemaliger Leiter der Abteilung Arzneimittel­verkehr im Bundesgesundheitsamt.

Werden die Wirkstoffe nicht überprüft?

Schönhöfer: Ja. Aber das Verfahren zur Zulassung verfügt über mehrere Schwachpunkte. Die meisten klinischen Studien sind von Herstellern gesponsert. Also lenken sie die Untersuchungsdaten in die gewünschte Richtung, problematische Ergebnisse fallen dem Rotstift zum Opfer.

Die Experten in den deutschen und europäischen Zulassungsbehörden müssten die Risiken und Nutzen neuer Medikamente kritisch abwägen. Sie stehen jedoch oftmals auf der Honorarliste der Pharmaindustrie oder sind von den Herstellern materiell abhängig. Das Resultat: Bei ihren Entscheidungen betonen sie den Nutzen und verharmlosen die Risiken des Medikaments.

Gibt es hier Medikamente auf dem Markt, die woanders verboten sind?

Schönhöfer: Ja. Das jüngste Beispiel haben wir mit dem Krebsmittel Avastin erlebt. Dieses Medikament geben Ärzte Frauen, die an fortgeschrittenem Brustkrebs leiden – jedenfalls in Deutschland und Europa. In den USA hat die Arzneibehörde das Medikament kürzlich verboten.

Es hat sich gezeigt, dass Avastin gegenüber üblicher Behandlung nicht besser wirkt. Zudem löst es unter Umständen Blutungen, Herzversagen und andere lebensbedrohliche Störungen aus. Damit kommt folgende Situation: Ärzte verschreiben Avastin in Deutschland, obwohl es nichts bringt. Im Gegenteil: Es richtet Schaden an. So ein Vorgehen ist leider keine Ausnahme.

Was machen die USA besser?

Schönhöfer: Der Vorteil in den USA: Jeder Interessierte kann im Internet nachlesen, auf welche Weise das Zulassungsgremium entschieden hat. Öffentlich zugänglich sind ebenso die Studiendaten und Datenbanken, in denen unerwünschte Wirkungen stehen.

Darüber hinaus muss die Pharma­industrie offenlegen, welche Zuwendungen sie an Ärzte und medizinische Experten bezahlt. Vergleichbares fehlt in Deutschland. Das trägt dazu bei, dass bei uns Medikamente auf den Markt kommen, die zu große Risiken bergen.

Wie groß ist die Gesundheitsgefahr durch Medikamente?

Schönhöfer: Diese Frage hat uns auch beschäftigt. Wir haben in unseren Bremer Krankenhäusern von 1985 bis 2000 deshalb ein Forschungsprojekt durchgeführt. Dabei kam heraus, dass in Deutschland jedes Jahr mehr als 16.000 Todesfälle auf Arzneimittel zurückgehen.

Rund 70.000 Patienten müssen wegen Arzneikomplikationen auf der Intensivstation liegen. Mehr als 200.000 Fälle sind so schwerwiegend, dass die Betroffenen zur Behandlung in die Klinik müssen. Es gibt andere Studien, die nennen noch höhere Zahlen.

Besitzt nicht jedes Medikament Nebenwirkungen?

Schönhöfer: Ja, das ist richtig. Je stärker ein Arzneimittel wirkt, desto häufiger sind prinzipiell unerwünschte Wirkungen. Mein wichtigster Rat lautet: Lassen Sie sich nichts verschreiben, spritzen oder verabreichen. Jedenfalls nicht ohne zu fragen, wie das Medikament heißt und wie es wirkt.

Also besser auf bewährte Medikamente vertrauen?

Schönhöfer: Ja. Nützlich sind ein bis zwei Prozent aller neuen Substanzen, die die pharmazeutische Industrie auf den Markt wirft. Diese bieten echte Innovationen, die das Leben der behandelten Patienten verlängern. Dann gibt es noch knapp zehn Prozent, die einen kleinen Vorteil bringen.

Neunzig Prozent der Neuheiten besitzen keinen gesundheitlichen Zusatz-Nutzen. Diese Schein-Innovationen dienen nur dazu, die Arzneimittelpreise höherzuschrauben. Wer mit bewährten Arzneimitteln zurechtkommt, sollte deshalb nicht mit neuen Pillen experimentieren.