Vor 110 Jahren starb Sebastian Kneipp. Zu seiner Zeit war der Allgäuer Priester nach Bismarck der berühmteste Deutsche. Seine Gesundheitslehren befolgten Arme wie Reiche begeistert, aber heute scheinen sie manchem antiquiert. Zu Recht?
Die altbekannte Heilkraft des Wassers
Im „Storchengang“ mit hochgezogenen Hosen durch kalte Wasserbecken staksen, morgens barfuß über taufeuchte Wiesen laufen, kalte Güsse mit dem Schlauch morgens und abends: Wer nicht überzeugter Kneippianer ist, findet Übungen wie diese leicht skurril.
Dabei hat der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Allgäuer Webersohn Sebastian Kneipp die Wirksamkeit seiner „Wasserkur“ zuerst sehr erfolgreich an sich selbst erfahren. Er konnte sich von einer schweren Tuberkulose heilen, bevor er anderen half. Die Heilkraft des Wassers ist seit Alters her bekannt, war jedoch über lange Zeit in Vergessenheit geraten.
Der eigensinnige Pfarrer nutzte brachliegendes Erfahrungswissen und systematisierte es. Er kurierte zunächst die Mittellosen seiner Zeit, die sich keinen Arzt leisten konnten. Eine auf einfachen Hilfsmitteln basierende Gesundheitslehre wird ebenso heute wieder interessant.
Kneipp und die Stiftung Warentest
Der Kneippärztebund sagt den Kneipp’schen Wasseranwendungen eine große Zukunft voraus: Sie lindern die typischen Altersleiden wie Gefäßerkrankungen und Gelenkbeschwerden, die in der alternden Gesellschaft zunehmen werden. Darüber hinaus bieten sie eine sehr moderne Palette vorbeugender Maßnahmen an.
Die Stiftung Warentest gibt sich skeptischer. Doch sie attestiert die positive Wirkung bestimmter Anwendungen bei der Behandlung von Gefäßerkrankungen und der Stärkung der Immunabwehr. Bei regelmäßiger Anwendung macht sich die Wirkung nach einigen Wochen bemerkbar.
Fünf Säulen der Gesundheit
Wer die Kuren des Wörishofener Pfarrers auf das Wassertreten reduziert, wird seiner Lehre nicht gerecht. Kneipp hat erkannt, was heute auch die Krankenkassen verstärkt propagieren: Gesundheit fällt nicht vom Himmel. Ein ausgewogener gesunder Lebensstil ist der beste Schutz gegen Erkrankungen und unentbehrliche Hilfe zur Gesundung. Kneipps fünf Säulen umfassen alle Lebensbereiche. Man nennt sie auch „Ayurveda Europas“.
- Wasser: Es überträgt Temperaturreize auf die Haut, die eine Reihe positiver Folgereaktionen in Gefäßen und Organismus auslösen. Es stärkt die Abwehrkräfte, Herz und Kreislauf.
- Bewegung schafft Ausgleich, baut Stress ab und regt den Geist an. Regelmäßige Bewegung an der frischen Luft wie laufen, radeln, im Garten arbeiten, schwimmen und tanzen fördert den Muskelaufbau und hält die Gelenke fit.
- Heilpflanzen sind eine gute Hilfe beim Kurieren üblicher Beschwerden. Kneipps Pflanzenkunde beruht auf einem überlieferten Erfahrungsschatz. Den Wirkmechanismen vieler Kräuter ist die Wissenschaft heute auf die Spur gekommen. Anwendung finden sie als Tees, Salben, Badezusätze, Tabletten und sind in jeder Apotheke erhältlich.
- Ernährung: Mit ausgewogener, naturbelassener Vollwertkost, wenig Fleisch, Fett und Süßem lassen sich viele Krankheiten vermeiden. Pfarrer Kneipp verbot darüber hinaus Kaffee, heute sind ein bis zwei Tassen durchaus erlaubt.
- Ordnung: Körper und Seele bilden eine Einheit. Alle Anwendungen nützen wenig, wenn die Seele ständig in Aufruhr ist. Ausgleich zum täglichen Stress bieten Entspannungstechniken wie autogenes Training, Yoga, Qi Gong, Atemübungen, ein gut strukturierter Tagesablauf, ausreichend Schlaf und Verzicht auf Genussgifte und Reizüberflutung.
Kneipp für den Hausgebrauch
Wechselduschen verbessern die Durchblutung, stärken bei regelmäßiger Anwendung die Abwehrkräfte gegen grippale Infekte: Fangen Sie warm an, den gut durchwärmten Körper anschließend wenige Sekunden kalt abduschen. Dann wieder warm duschen und kalt abschließen. Menschen mit trockener Haut sollten rückfettende Duschöle verwenden.
Kniegüsse gegen müde Beine, Durchblutungsstörungen, ideal gegen Krampfadern und gute Einschlafhilfe: Schrauben Sie von der Dusche den Kopf ab oder besorgen Sie sich ein Gießhandstück zum Aufschrauben. Den Wasserstrahl über den rechten Fußrücken beginnend außen am Bein hoch bis über das Knie führen. Ums Bein herum laufen lassen und dann an der Innenseite den Strahl wieder abwärts führen. Das Gleiche mit dem linken Bein, dann noch ein zweiter Guss für beide Seiten.
Armbäder regen den Kreislauf an. Sie beleben und erfrischen, vor allem bei heißem Wetter (Körper und Hände müssen warm sein, Vorsicht bei Herzbeschwerden): Zuerst den rechten, dann den linken Arm zehn bis 30 Sekunden ins kalte Wasser (Handwaschbecken, Schüssel) tauchen. Wasser abstreifen, anziehen und Arme kräftig schwingen. Beim Armguss über der Badewanne den Wasserstrahl von der rechten/linken Hand bis zu Schulter führen, dann an der Innenseite runter. Wiederholen.
Kalte Wadenwickel fördern die Durchblutung und senken Fieber. Sie lindern Venenentzündung und -schmerzen: In kaltes Wasser getauchtes Leinentuch ausdrücken, glatt um Unterschenkel wickeln. Dann trockenes Baumwolltuch darum wickeln und zuletzt ein Wolltuch umschlagen. Zur Fiebersenkung werden die Wickel öfter wiederholt, bis ein Schweißausbruch eintritt oder das Fieber zurückgeht. Die Wickel bleiben angelegt, bis sie erwärmt und angenehm sind. Nicht bei kalten Füßen anwenden.
Mehr Informationen bietet „Das große Kneipp-Gesundheitsbuch“ von Dr. Bernhard Uehleke und Prof. Dr. Hans-Dieter Hentschel mit vielen Abbildungen und Tipps.
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