Den Magen-Darm-Trakt durchziehen Millionen von Nervenfasern. Sie sind mehr als einfache Handlanger des Gehirns. Sie führen ein bemerkenswertes Eigenleben und regeln nicht nur die Verdauung. Sie spielen eine große Rolle bei Krankheiten wie dem Reizdarmsyndrom oder dem Reizmagen.
„Ich habe eine Stinkwut im Bauch!“ – „Ich habe Schmetterlinge im Bauch!“ Wer den deutschen Redensarten traut, ahnte es: Das Bauchgefühl mischt bei menschlichen Emotionen mit. Redensarten wie diese haben einen medizinischen Hintergrund. Das wissen Mediziner seit der Entdeckung des sog. Bauchhirns. Das Nervensystem im Darm war schon länger bekannt. Es besteht aus über 100 Millionen Zellen und bildet die größte Ansammlung von Nervenzellen außerhalb des Gehirns.
In der Körpermitte regieren die Darmnerven
Mit dem Schlucken des Nahrungsbreis übernimmt das Darmnervensystem das Kommando über die Verdauungsvorgänge. Von der Speiseröhre bis zum Darmausgang erstreckt sich das Geflecht. Es steuert alle Muskelkontraktionen für den Transport des Speisebreis durch den Magen-Darm-Trakt. Zusätzlich sorgt es an den einzelnen Stationen dieser Route für die richtige Menge an Verdauungssäften. All dies läuft wie im Gehirn über Hormone und Nervenbotenstoffe ab.
Das Bauchhirn arbeitet auf sich unabhängig und entlastet so das Gehirn. Trotzdem ist das Gehirn ständig auf Empfang, geht es um den Zustand der Leibesmitte. Diese Standleitung macht sich erst im Alarmfall bemerkbar. Das äußert sich z.B. in Magenschmerzen oder Übelkeit. Der Mensch spürt seinen Darm nur im Ernstfall.
Diese Verständigung ist nicht einseitig. Sie funktioniert auch in umgekehrter Richtung von oben nach unten. Das Darmnervensystem bekommt mit, welches Klima im Körper herrscht. Diese Verbindung erklärt, wie es z.B. bei Prüfungsangst zu Übelkeit oder Durchfall kommt oder warum dauerhafter Stress zu Magendrücken führt. Darin sehen die Forscher einen Schlüssel für Erkrankungen wie den sog. Reizmagen oder das Reizdarmsyndrom. Sie sprechen dem Darm kein eigenes Bewusstsein zu.
Stress reizt Magen und Darm
nter einem Reizmagen versteht der Mediziner eine Störung der Magenfunktion. Sie zieht Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl oder Magendrücken nach sich. Es hält länger als drei Monate an oder kehrt für Tage bis Wochen zurück. Schätzungen zufolge lebt ca. ein Drittel der Deutschen mit den Symptomen eines Reizmagens. Da es sich dabei um keine organische Erkrankung handelt, sind die Befunde von Magenspiegelungen oder Blut- und Stuhluntersuchungen unauffällig.
Die Ursachen für diesen Zustand liegen noch im Dunkeln. Von falscher Ernährung über Nahrungsmittelunverträglichkeiten bis zum erhöhten Schmerzempfinden der Patienten reichen die Theorien. Mediziner sind sich über psychischen Stress, Ängste und Depressionen als Auslöser für einen Reizmagen einig. Diese Befindlichkeiten beeinflussen die Bewegungen der Darmmuskulatur.
Keine Heilung durch Medikamente
Medikamente zur Heilung des Reizmagens gibt es nicht. Linderung ist nur für die individuellen Symptome der Krankheit möglich. Das gelingt mit krampflösenden Mitteln gegen die Schmerzen oder Präparaten gegen Übelkeit aus der Apotheke. Pflanzliche Mittel helfen ebenfalls bei der Regulierung der Magentätigkeit.
Vielen Magenkranken reicht eine spezielle Diät. Sie verzichten dabei auf die Speisen und Getränke, die als Auslöser in Frage kommen. Bei gestressten Menschen helfen oft einfache Entspannungstechniken gegen den Reizmagen weiter. Patienten mit schwereren psychischen Problemen sollten eine psychotherapeutische Behandlung in Betracht ziehen.
Psychopharmaka für das Bauchhirn
Ähnlich verhält es sich mit dem Reizdarmsyndrom (RDS). Es äußert sich in Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung ohne organischen Befund. Eine Irritation des Darmnervensystems durch psychische Auslöser führt die Liste der Ursachen an. Als eigentliche Ursache vermuten Ärzte eine übersensible Darmmuskulatur: Bei geringsten Reizen wie blähenden Speisen oder alkoholischen Getränken verkrampft sich der Darm. Sie versuchen, diesen Menschen mit einer Diät zu helfen.
Heilbar ist RDS nicht. Zeigen die üblichen Methoden wie entblähende Arzneimittel oder Präparate gegen Verstopfung bzw. gegen Durchfall keine Wirkung, setzen wir heute andere Medikamente ein. Sie greifen direkt in die Arbeit des Nervenbotenstoffs Serotonin.
Das sog. „Glückshormon“ Serotonin kommt im Darmnervensystem in größerer Menge als im Gehirn vor und spielt beim Reizdarmsyndrom eine Rolle. Diese Arzneimittel sind Psychopharmaka. Sie bessern auch die Symptome des RDS, ohne es zu heilen.
Foto: © Romolo Tavani