Wäre ich doch früher zum Arzt…

Bei der Vorsorge werden Gefahren für die Gesundheit erkannt.

Eine Frau und ein Mann erzählen, wie sie Symptome ignoriert und so chronische Erkrankungen riskiert haben. Nun sind sie auf Medikamente angewiesen.

Herzmuskelentzündung durch eine Erkältung

Karen Fuchs (58) / Wohnort: Hamburg / Beruf: Modedesignerin / Diagnose: Herzmuskelschwäche / Versäumnis: Ignorierte ein Jahr lang Beschwerden nach einer Erkältung / Prognose: Ist für den Rest des Lebens auf Medikamente angewiesen.

Früher, da habe ich begeistert Tennis gespielt. Ich war fit und agil, nichts war mir zu viel. Ich fühlte mich stark und unverletzlich. Es gab nichts, was ich nicht regeln konnte. Früher, da war mein Leben ein anderes. Heute hängt es an vier Tabletten. An Tennis ist nicht mehr zu denken. Ich darf Gymnastik machen, walken, schwimmen, aber nur ganz langsam. Alles, was schnell ist, was mich zum Schwitzen bringt, muss ich lassen.

Noch heute, zehn Jahre danach, frage ich mich oft: Warum bist du damals nicht einfach zum Arzt gegangen? Damals, das war kurz nach einer heftigen Erkältung. Ich fühlte mich müde. Stieg ich Treppen hoch, ging mein Atem schwer. Ganz normale Nachwirkungen, dachte ich. Dein Körper ist noch nicht 100-prozentig fit. Ein paar Wochen später ging es mir dann auch schon wieder besser. Nur ab und zu war ich danach noch abgespannt. Alles kein Grund zur Aufregung, dachte ich.

Ein Jahr später, mein 50. Geburtstag rückte näher, meldete ich mich zur normalen Vorsorge an. Habe ich da vielleicht schon etwas geahnt? Meine Erkältung hatte ich auf jeden Fall längst vergessen. Und eigentlich wollte ich mir, nachdem ich ewig nicht beim Arzt war, auch nur die beruhigende Nachricht abholen: alles in Ordnung! Frohen Mutes ließ ich also ein EKG machen, mir Blut abnehmen, die Lunge abhorchen, den Bauch abtasten und den Blutdruck messen. Dann der Schock.

Nicht, was der Hausarzt sagte, sondern wie er es sagte, machte mir von einem Moment zum anderen klar: Ich bin ernsthaft krank. Mit ernster Miene und festem Blick erklärte er mir: „Auf Ihrem EKG ist ein Linksschenkelblock zu sehen, das heißt, im Erregungsleitsystem gibt es eine Störung. Auf Deutsch: Ihr Herz ist krank.“ Über die Ursache konnte er nur spekulieren. Ob ich eine Erkältung verschleppt hätte, fragte er mich. Natürlich, jetzt erinnerte ich mich wieder.

Ungewöhnlich schnell bekam ich einen Termin in der Kardiologie der Uniklinik. Vor der Untersuchung per Herzkatheter hatte ich schreckliche Angst. Angst vor dem Eingriff. Angst vor dem Ergebnis. Was war mit meinem Herzen los? Wie lange werde ich noch leben? Der Eingriff war dann tatsächlich völlig schmerzlos, denn in den Arterien und im Herzen gibt es keine Nerven, die Schmerzen weiterleiten. Auf einem Monitor sah ich mein Herz pumpen. Es sah so stark und gesund aus. Als dann durch den Katheter ein Kontrastmittel gespritzt wurde, konnte ich sogar meine Herzkranzgefäße sehen.

Ich fand das alles so spannend und interessant, dass ich meine Angst vergaß. Das Ergebnis allerdings holte mich rasch wieder in die Realität zurück: Der Herzmuskel ist geschwächt, die linke Seite krankhaft erweitert. Der Kardiologe nannte es dilatative Kardiomyopathie. Während mein Hausarzt noch spekuliert hatte, war er sich fast sicher: Die Erkältung vor einem Jahr war vermutlich der Auslöser.

Wahrscheinlich haben sich damals Viren in mein Herz genistet und dann eine Herzmuskelentzündung ausgelöst. Das passiert sogar relativ häufig, sagte der Arzt noch. Trösten konnte mich das aber leider überhaupt nicht. Im Gegenteil. Als ich erfuhr, dass ich das Ganze hätte verhindern können, wurde ich sauer. Sauer auf mich und meine Sorglosigkeit. Wenn ich doch nur rechtzeitig zum Arzt gegangen wäre! Der hätte die Entzündung im EKG gesehen, ich hätte mich nur ein paar Wochen schonen müssen, und mein Herz wäre heute noch gesund.

Hätte, wäre, wenn

Es nützt nichts, so zu denken. Ich habe gelernt, mein krankes Herz zu akzeptieren. Manchmal, wenn ich doch mit meinem Schicksal hadere, versuche ich, ganz rational zu sein. Dann sage ich mir, immerhin habe ich es überlebt. Andere sind an Herzmuskelentzündungen gestorben.

Diabetes mit Folgeschäden

Michael Potts (53) / Wohnort: München / Beruf: Steuerfachangestellter / Diagnose: Diabetes Typ 2 mit Folgeschäden an den Augen / Versäumnis: Ging nie zum Arzt zum „Check-up“ bei dem u. a. auch die Blutzuckerwerte untersucht werden / Prognose: Kann mit sehr gesunder Ernährung, viel Bewegung und Medikamenten ein Fortschreiten der Krankheit verhindern.

Den größten Schock meines Lebens erlebte ich vor genau sechs Jahren. „Sie sind zuckerkrank“, sagte mein Arzt. Genauer: Sie haben Diabetes Typ 2. Im Volksmund wird dies auch Alterszucker genannt. Dabei fühlte ich mich überhaupt nicht alt. Und mit 47 war es nach meinem Empfinden auch eindeutig zu früh für eine solche Diagnose. „Kopf hoch, Millionen Deutsche haben das Gleiche“, sagte der Arzt noch.

Konnte das ein Trost sein? Für mich brach wirklich eine Welt zusammen. Diabetes! Ich hatte schon zu viel darüber gehört, wusste, wie schwer die Komplikationen sein können: Nervenschäden, offene Beine, Amputationen, Nierenprobleme, hoher Blutdruck, Herzinfarkt, Impotenz, sogar blind kann man durch Diabetes werden! Würde mir dies alles blühen? Ich sah mich an der künstlichen Niere liegen oder als Pflegefall im Rollstuhl sitzen. Auf jeden Fall fürchtete ich, viel zu früh zu sterben.

Das konnte doch, das durfte einfach nicht sein. Und ich ärgerte mich. Ich hätte viel früher zum „Check-up ab 35“ gehen sollen. Dabei wird auch gezielt im Blut nach den ersten Anzeichen von Diabetes gesucht.

Das ist wichtig, denn früh genug erkannt, kann man die Krankheit stoppen und die Folgeschäden an Nerven, Augen und Blutgefäßen verhindern. Doch ich, typisch Mann, stand immer auf dem Standpunkt: Ich gehe nur zum Arzt, wenn ich richtig krank bin, nicht einfach so. Vorsorge, Früherkennung – ich doch nicht.

So bekam ich die Diagnose Diabetes auch erst, als ich mich wegen ernsthafter Sehstörungen zum Besuch beim Augenarzt aufraffte. Ich konnte in letzter Zeit immer schlechter gucken, dachte, das wird wohl die beginnende Alterssichtigkeit sein. Doch mit dem Alter hatten meine Sehprobleme nichts zu tun. Der Augenarzt sah bei seiner Untersuchung kleine, fettartige Ablagerungen an den Blutgefäßen meiner Netzhaut. Typisch bei Diabetikern, meinte er, und riet: „Gehen Sie schnell zum Internisten.“

Der Hausarzt stellte nicht nur viel zu viel Zucker im Blut fest. Auch die Cholesterin- und Blutdruckwerte waren mies. Sogar meine Haut sah er sich genau an – viel zu trocken, sagte er. Und: „Alles typische Folgen von jahrelang schlechten Zuckerwerten. Warum sind Sie nicht schon viel früher zu mir gekommen?“ Ich war dermaßen erschüttert von diesen Ergebnissen, dass ich in ein tiefes Loch fiel. Ich und chronisch krank, und das schon seit Jahren?

Das konnte, das durfte einfach nicht sein! Wochenlang lief ich gebückt durch die Welt. Ich wollte das alles nicht: diszipliniert essen, kein Bier mehr trinken, regelmäßig Sport treiben – und vor allem, täglich in den Finger stechen, um meinen Zucker im Blut zu messen. Mir womöglich sogar noch eines Tages selbst Insulin in den Bauch spritzen.

Schulungen helfen

Nein, so macht das Leben doch keinen Spaß! Schließlich bin ich doch aufgewacht, auch durch meine Freundin, die mich immer unterstützt hat. Sehr geholfen hat mir die vom Arzt empfohlene Schulung für Diabetiker. Dort habe ich nicht nur gelernt, wie man sich den Blutzucker misst.

Ich gestehe, es ist mir immer noch unangenehm. Ich habe dort auch viel über gesundes Essen und Trinken gelernt; weiß jetzt, wie ich trotz Diabetes lecker essen kann, ohne meine Gesundheit zu ruinieren; weiß, was Vitamine, Kohlenhydrate und Broteinheiten sind; weiß, dass ich ohne schlechtes Gewissen auch mal Süßigkeiten essen oder ein Bier trinken darf. Aber ich muss darüber nachdenken, was ich tue; muss die Belastung für meinen Körper berechnen und entsprechende Medikamente nehmen.

Und ich muss mich einfach mehr bewegen. Und heute? Heute geht es mir so weit gut. Meine Zuckerwerte sind für einen Diabetiker in Ordnung. Doch immer wenn ich meine Brille aufsetze, erinnert mich das daran, dass ich mir das alles hätte ersparen können, wenn ich früher zum Arzt gegangen wäre. Dann wäre ich heute noch gesund.

Aufgezeichnet von Gerda Pighin

Quelle: plus 05/2010

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